Anfang April dieses Jahres erhielt ich den Anruf einer lieben Stammkundin, die einen Termin für ein Babybauchshooting bei mir buchte. Bereits beim ersten Kind fotografierte ich ihren Kugelbauch und auch ihr erstes Baby. Eine ganz liebe Familie, die mich auch in der Zwischenzeit zu einem Familienshooting besuchte. Am Ende des Telefonats fragte Sie mich, ob ich mir vorstellen könnte, ihre zweite Geburt fotografisch zu begleiten… meinte, ich solle gern überlegen, was ich natürlich auch tat.
Eine Herausforderung auf meiner imaginären „To-Do“-Liste
Wow – insgeheim eine Herausforderung, die ich mir schon immer gewünscht hatte. Von Workshops wusste ich, dass die Rufbereitschaft vor und nach dem Entbindungstermin nicht zu unterschätzen ist. Deshalb überlegte ich tatsächlich gut –auch wenn ich da nur im Ansatz abschätzen konnte, was die Dauerbereitschaft wirklich bedeutete.
Immer erreichbar zu sein und auch meinen eigentlich vollen Shootingkalender etwas zu entzerren, geplante Frühlings-Sessions – von denen ich nach dem harten und vor allem langen Lockdown tatsächlich abhängig war – auf Ende Mai zu verschieben.
Zudem wohnen die Kunden laut Navi knapp über eine Stunde entfernt. Wenn es los geht, muss ich also innerhalb von fünf Minuten im Auto sitzen. Alles stehen und liegen lassen. Denn beim zweiten Kind kann es sehr schnell gehen. Immerhin veranschlagte ich 1.250 Euro, den im Internet gängigen Preis für die Reportage. Auch wenn ich weiß, dass ich dafür einige Buchungen verschieben und einiges darauf abstimmen muss. Passt für mich – und ich werde alles tun, damit ich dieser Familie diese wertvollen Erinnerungen schenken kann.
Die Rufbereitschaft startet
Am 22. April war es so weit, die Rufbereitschaft beginnt. Errechneter Entbindungstermin wurde auf den 12. Mai datiert. Beim zweiten Kind ist die Wahrscheinlichkeit eh größer, dass das Kind früher kommt.
Ich stellte mein Handy dauerhaft laut – auf die lauteste Stufe. Bei jeder Benachrichtigung schreckte ich auch da schon hoch. Die erste Nacht: Um 04:12 macht es „Ping“ … mein Mann und ich stehen senkrecht im Bett. „Ihr Datenvolumen ist verbraucht:“ Oh okay…. Wieder einschlafen unmöglich. Etwas gerädert wache ich am nächsten Morgen auf. Keine Ahnung wann mir endlich die Augen wieder zugefallen sind.
Neue Verhaltensroutinen
„Gut, an was muss ich noch alles denken?“ Normalerweise bin ich der Typ ‚Akku und Tank immer leer’. Erst einmal volltanken – und überall Ladekabel verteilen. Merker: nachts dran denken das Handy anzustecken. Das Shooting im Atelier beginnt. Eine bekannte Radiomoderatorin. Irgendwie ein mulmiges Gefühl – „Was sage ich ihr, wenn es plötzlich losgeht?“ Naja… noch ist etwas Zeit… es wird ja nicht sofort so sein.
Nach der Arbeit möchte ich mit unserem Hund spazieren gehen. Da wird mir auf einmal klar: ausgedehnte Waldspaziergänge, die ich so sehr liebe, sind bis zur Geburt nicht mehr möglich. Na gut, nehme ich natürlich in Kauf. Ich laufe im Zickzack durch den Wald, um schnell am Auto zu sein. Das wird wohl jetzt normal sein in den nächsten Wochen.
Abends bin ich von der letzten Nacht echt ko. „Puh – was mache ich, wenn es nachts losgeht? Ich vielleicht noch hundemüde bin?“ Ich google die Adresse und schaue mir die Sattelitenkarte an. Sie wohnen irgendwo abgelegen im Wald. Vorsichtshalber präge ich mir ein paar Ortsnamen in der Nähe ein. Das Ziel werde ich morgen schon einmal ins Navi eingeben.
Unruhige Nächte
Die nächste Nacht ist unruhig. Man schläft definitiv nicht so gut, wenn man Angst hat, das Handy nicht zu hören. Ich vereinbare mit der werdenden Mama, dass sie nachts besser anrufen und nicht nur per WhatsApp schreiben. Ist sicherer!
Das Shooting am nächsten Tag wird krankheitsbedingt verschoben. Normalerweise kümmere ich mich um Ersatz – aber gut… wenn es los geht, bin ich bereit. Ich entscheide mich den Tag frei zu lassen. Weniger Einnahmen, aber gefühlt entspannter, wenn das Telefon klingelt. 4 Tage habe ich also hintereinander frei, weil mein Mann Montag Geburtstag hat und ich deshalb kein Shooting eingeplant habe. Super, wenn sich das Baby also innerhalb dieser Tage auf den Weg macht.
Hoffen, der Anruf kommt am Wochenende
Am Wochenende gehe ich mit meiner besten Freundin und unseren Kindern picknicken. Nicht da, wo wir eigentlich hinwollten, sondern so, dass ich innerhalb von 5 Minuten im Auto sitze. Mein Mann gibt mir den wertvollen Tipp, eine „Kliniktasche“ zu packen, falls es länger dauert. Die morgendliche Hunderunde mit den Nachbarn laufe ich nur noch am Anfang mit und verkürze jedes Mal, um schneller daheim zu sein.
Nach der Arbeit packe ich jedes Mal die komplette Kameratasche und nehme sie mit ins Auto, kontrolliere jeden Tag: 2 Kameras, 2 Objektive, mehrere Speicherkarten, geladene Akkus, Laptop, Kartenlesegerät. Morgens raus aus dem Auto, nachmittags nach dem Check, ob alles dabei ist, wieder rein. Die Nächte bleiben unruhig. Stefans Geburtstag. Eigentlich trinke ich keinen Alkohol. Aber Anstoßen wäre schön… naja, geht ja nicht. Kann ja sein, dass ich losmuss. Gut, das ist es wert. Insgeheim hoffe ich trotzdem, dass der Anruf kommt, wenn ich nicht im Atelier arbeite.
Aber das Handy bleibt still.
Es tut sich noch nichts
Die Arbeitswoche beginnt. Dienstag und Mittwoch 2 Mal Babybauchshooting mit Styling. Hoffen, dass alles ruhig bleibt. Wenn die Kundinnen nach 1 ½ Stunden frisch gestylt im Atelier sitzen und ich muss alles stehen und liegen lassen – bitte, bitte nicht! Ich bin angespannt. Die Nächte sind nicht erholsam. Selbstverständlich zahle ich in dem Fall die Stylistin. Und für die Kundinnen muss ich mir Entschädigungen einfallen lassen. Ich laufe immer wieder nervös zum Handy, auch wenn meine Assistentin es fest im Blick hat. Zum Glück geht alles gut.
Für das Shooting am Donnerstag ist schlechtes Wetter gemeldet. Eigentlich kann ich das Geld gut gebrauchen. Aber wir verschieben, da kommt mir das schlechte Wetter gerade recht. Dann könnte es ohne jemanden zu enttäuschen losgehen. Jeder freie Tag tut mir gut, weil ich weniger angespannt bin.
Zugegeben, ich hatte es mir leichter vorgestellt. Aber ich freue mich wahnsinnig auf den Moment, wenn ich dabei sein darf. Die liebe Familie zu begleiten und ihnen diese einzigartigen Bilder zu schenken. Ich nehme mir vor, noch einmal Geburtsreportagebilder von anderen Fotografen anzusehen. Denn ich möchte es gut machen! Ich habe zugesagt und werde mein Bestes geben.
Beim Shooting am Freitag warne ich die Kunden lieber vor. „Es kann sein, dass ich abrupt wegfahren muss. Sollte dies der Fall sein, bekommt ihr ein Upgrade auf das nächstgrößere Paket im Wert von 140 Euro geschenkt.“ Sie sind einigermaßen entspannt.
Normalerweise nehme ich mir beim Neugebornenshooting mit Geschwisterkind viel Zeit. Heute nicht, denn ich versuche meine Bilder schnell im Kasten zu haben. Alles gut, keine Nachricht auf dem Handy.
Wochenende… zwei Tage an denen ich entspannt bleiben kann. Hoffen, dass das Handy klingelt. Doch es bleibt wieder still.
Die Anspannung bei den Shootings steigt
Montag. Exclusive-Kunden. Sie zahlen 700 Euro für ihr Shooting. Als Entschädigung für den Fall der Fälle biete ich ihnen ein Album für 300 Euro an. Sie sind nicht begeistert, mir zieht sich der Magen zusammen.
Wieder ziehe ich auf Kosten der Atmosphäre durch. Gut, da muss ich jetzt durch. Zum Glück läuft alles nach Plan. Keine Entschädigung nötig. Ich bin erleichtert. Auch meine Familie zieht übrigens mit am Strang. Ermöglicht mir, dass ich jederzeit loskann. Mein Mann ist jeden Tag bereit unsere Maus von der KiTa abzuholen, der Große übernimmt Gassi-Runden. Sie tragen mir das Handy hinterher und halten mir den Rücken frei.
Dienstag habe ich kein Shooting angenommen, damit ich durchatmen kann. Melde mich aber mal bei der werdenden Mama. Da ist alles gut, aber das Baby lässt auf sich warten. Ich schreibe ihr wie aufregend das alles ist. Verkneife es aber durchscheinen zu lassen – wie aufregend und vor allem anstrengend es wirklich ist.
Mittwoch, Donnerstag und Freitag kommen Kunden, die ich noch nicht kenne. Ich hoffe sie haben Verständnis. Aufwändige Shootings, jedes Mal zucke ich zusammen, wenn mein Handy bingt. Alles geht glatt, macht aber nicht so viel Spaß wie sonst.
Auch privat sind die Einschränkungen deutlich spürbar
Freitag habe ich einen Arzttermin in Erlangen, ein Doppeltermin mit meiner besten Freundin, auf den wir 2 Monate gewartet haben. Haben ihn extra so gelegt, dass wir zusammen hin und mit einem Auto fahren können. Geht aber jetzt ja nicht. Es kann sein, dass ich gerufen werde. Wir entscheiden spontan, dass wir doch zusammen fahren. Zur Not holt ihr oder mein Mann sie in Erlangen ab, wenn es so weit ist.
Alle stehen bereit. Wir fahren natürlich mit meinem Auto, auch wenn ich mich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten kann. Kamera- und Kliniktasche an Bord. Allzeit bereit. Beim Arzt bin ich völlig nervös, aber das Handy schweigt.
Meine Freundin hatte übrigens an diesem Tag ihre Impfe. Da ich mit Babys und Schwangeren arbeite, rufe ich auf der Fahrt über die Freisprechanlage zum 20. Mal bei meinem Hausarzt an. Wieder Warteschleife, den ganzen Tag schon. Dann nimmt jemand ab. Ich erkläre meine Arbeit mit der Risikogruppe und bekomme deshalb wie durch ein Wunder einen Impftermin für den nächsten Dienstag mit Astrazenca und bin total glücklich.
Es ist mir so wichtig meine Kunden zu schützen und fühle mich da einfach besser, wenn ich geimpft bin. Hoffentlich kommt das Baby bis dahin, falls die Impfreaktion schlimmer ausfällt. Ich muss für die Reportage fit sein. Naja – erst einmal den Arzttermin zusagen! Und ab ins entspanntere Wochenende. „Bitte, bitte liebes Baby, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt!“
Hurra, Wochenende!
Wochenenden sind toll. Ich kann etwas verschnaufen und die Anspannung fühlt sich nicht ganz so schlimm an. Wir renovieren unseren Garten und ich packe mit an. Unter der Woche habe ich auch schon geholfen, war dann aber immer total platt abends und habe gefleht, dass ich nicht in der Nacht losmuss. Aber die Woche ist ja geschafft. Es ist der 08. Mai und der Entbindungstermin rückt näher – jetzt geht es bestimmt bald los.
Wir wollen am Samstag zum Gartenmarkt. Natürlich mit zwei Autos. Ich bin etwas sauer auf meinen Mann, weil ich unsere Kleine im Auto mitnehmen soll. Er hat schon umgeklappt. „Es wäre mir lieber die Maus säße bei Dir im Wagen.“ Das sage ich ihm viel schärfer als normal. Ich bin einfach schon völlig erschöpft von dieser Zeit und reagiere bei Kleinigkeiten völlig über. Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich ihn angegrantelt habe. Er verspricht mir sofort rechts ran zu fahren, wenn es losgeht und unsere Maus zu nehmen. Wir vermeiden die Stadtautobahn und fahren Schleichwege.
Das Einkaufen macht Spaß. Auf der Rückfahrt trennt uns auf einmal die Ampel. Ich kann nicht reagieren und mein Mann nimmt einen anderen Rückweg. 20 Minuten – in denen das Handy nicht klingeln darf! 20 Minuten bis ich zu Hause bin. Natürlich jede Ampel rot. Ich bin völlig am Ende. Hoffentlich kann ich bald wieder gut schlafen.
Wenn andere Aufgaben dazukommen
„Dummerweise“ habe ich spontan noch für ein Tutorial zugesagt. Eine große Chance für mich… kurz habe ich überlegt nicht anzunehmen, weil ich bis zum 20. Mai alles fertig gedreht haben muss. „Eine weitere Belastung kann ich eigentlich gerade echt nicht gebrauchen!“ Aber ich möchte dabei sein!
Immer wieder sage ich mir, dass sich der Aufwand für die Familie und diese einmalige Erfahrung einfach lohnt. Telefoniere mit einer Kollegin, die auch gerade ihre erste Geburt fotografiert hat. „Mel – das ist sooo schön! Danach willst Du nichts Anderes mehr machen!“ Ich freue mich. Bis ich auf mein Konto schaue.
Die Ausfälle der verschobenen und nicht angenommenen Shootings während der Rufbereitschaft machen sich vor allem nach der harten Lockdownzeit bemerkbar. Hoffentlich kommen die Frühlingssessions bald. Ich habe sie auf den 18., 19. und 20. Mai gelegt. So langsam bekomme ich aber Angst, dass das Baby da noch nicht da ist. „Alles gut!“ sage ich mir. „Das Geld für die Geburts-Reportage fängt ja ein wenig davon wieder auf. Das alles wird sich lohnen! Halte durch!“.
Trotzdem schwöre ich mir schon jetzt, nie wieder einen solchen Auftrag anzunehmen. Der Aufwand und die Anstrengungen sind unbeschreiblich!
Gefangen in der Endlosschleife
Am Wochenende bleibt das Handy nicht still – es bingt ständig – nur leider noch nicht mit der erlösenden Nachricht, dass sich der Kleine auf den Weg macht. Jedes Mal schrecke ich hoch. Bei einem Hundespaziergang geht das erste Mal mein Akku aus. Ich renne so schnell ich kann nach Hause, bin völlig aus der Puste und das Herz schlägt mir bis zum Hals. Schnell ans Ladekabel… „Geh endlich an!!!“ Zum Glück bleibt das Display leer.
Bei einer anderen Fotografin lese ich, dass ihre Kundin vom Blasensprung bis zu Geburt nur eine Stunde Zeit hatte. „Oh mein Gott, ich muss einfach immer startklar sein! Eine Stunde ist meine Fahrtzeit!“ Allzeit bereit, alles andere muss im Moment warten.
Unsere kleine Maus leider auch. Sie möchte sich gern Ohrringe stechen lassen, aber ich kann mit ihr alleine nicht los. „Mama, geht das nicht wegen dem Baby?“ … Tränen in ihren Augen. „Ja Mausi, sobald das Baby da ist, fahren wir. Das verspreche ich Dir!“. Ich drücke sie ganz fest. Der Kloß in meinem Hals ist riesig.
Neue Woche und keine Besserung in Sicht
Ich habe den Montag wieder freigehalten. Jeder Tag ohne Shooting ist ein entspannter Tag. Meine Mutter arbeitet in der Pflege und hat an diesem Morgen Frühdienst. Sie schickt mir lustige Videos aufs Handy um halb sechs. Leider kein Flugmodus. Bis halb acht hätte ich schlafen können…
Im Atelier verschiebe ich die Frühlings-Sessions vorsichtshalber noch um eine Woche nach hinten. Hoffe, dass keiner meiner Kunden sauer ist. 14 Einbuchungen! Wir rufen alle an. Zum Glück sind alle Familien bis auf eine flexibel. Und auch die konnten wir glücklich machen. Wir drehen für das Tutorial. Wenn es jetzt losgeht, wäre es okay.
Für Dienstag ist ein Einzelcoaching bei mir gebucht. Eine Fotografin kommt und möchte von mir lernen. Eine Schwangere ist als Model bestellt. Viel Aufwand, aber alle wissen Bescheid, dass ich auf Abruf stehe. In der Nacht schlafe ich trotzdem nicht. Denn ich habe um 10:40 Uhr meinen Impftermin. Habe so sehnsüchtig darauf gewartet.
Hadern mit dem Impftermin
Aber was ist, wenn mich die Impfe für zwei, drei Tage außer Gefecht setzt. Dann kann ich die Geburt nicht fotografieren. 5 Minuten möchte ich mich impfen lassen – und in den nächsten 5 Minuten möchte ich den Termin absagen, damit ich für die Geburt fit bin. Nach langem hin und her – geträumt habe ich davon auch -, stehe ich mit gemischten Gefühlen an der Anmeldung. In letzter Sekunde sage ich ab. Kann es nicht verantworten, dass ich nicht einsatzfähig bin. Die Familie wünscht sich diese Bilder. Ich rufe meinen Mann an und gebe ihm meine Impfdosis.
Ich fühle mich schlecht!
Das Coaching lenkt mich zum Glück etwas ab. Ich kann komplett abschalten und mich ganz auf meine Arbeit und die lernende Fotografin konzentrieren. Nachmittags werde ich von der Arztpraxis angerufen. Ich habe schon einige Babys der Ärzte und Angestellten fotografiert. – Sie setzen mich auf die Warteliste von Biontech. Wenn jemand abspringt, muss ich binnen 10 Minuten verfügbar sein. Sie wissen von der Geburtsreportage. „Die Erstimpfung mit Biontech haut nicht so um, wie die mit Astrazeneca. Dann können Sie das Baby fotografieren.“ Okay – damit kann ich sehr gut leben.
Noch ein Anruf, bei dem ich unmittelbar da sein muss. Das Gefühl kenne ich ja jetzt schon. Ich atme durch.
Und wieder ein Shooting deswegen verschoben
Mittwoch habe ich wieder ein Shooting verschoben. Das schlechte Wetter gibt mir einen Grund. Die eingebuchte Familie sind Lieblingspaket-Kunden, die sich immer ganz besonders auf ihr Shooting freuen. Ich bringe es nicht übers Herz sie stehen zu lassen.
Meine Hand zittert bevor ich die WhatsApp schicke, ob wir wegen der Wetterlage noch mal verschieben sollen – ein Lieblingspaket spült immerhin 900 Euro in meine Kasse. Der Blick aufs Konto macht keinen Spaß, aber die Anspannung ein Shooting abbrechen zu müssen und Kunden zu verärgern, ist zu groß.
Bei einem Babybauch oder Newbornshooting bin ich zeitlich gebunden – hier bei diesem Familienshooting kann ich noch mal nach hinten gehen. Traurig drücke ich auf „Senden“. Aber ich bin einsatzklar für die Geburt. Lange möchte ich das aber bitte nicht mehr mitmachen. Endlich mal wieder richtig schlafen und mich frei bewegen.
Der errechnete Entbindungstermin ist da
Heute ist Entbindungstermin. Ich schreibe der Mama noch ein zweites Mal in dieser ganzen Zeit. Will nicht nerven, sondern einfach mal ein Lebenszeichen von mir geben. „Alles ist total aufregend!“ (Und zermürbend, und anstrengend, und…). Ich erzähle ihr nur, dass ich froh bin, meine Impfe abgesagt zu haben, denn mein Mann liegt mit Impfreaktionen seit zwei Tagen im Bett. Will ihr aber zeigen, dass ich bereitstehe und sie sich keine Sorgen machen muss. Ich gebe mein Bestes!
Am Donnerstag ist Feiertag, freier Tag! Aber auch hier kein Startschuss. Ich bin frustriert. Habe keine Lust mehr angespannt arbeiten zu müssen. Bin kurz davor das Shooting für Freitag abzusagen, damit ich nicht schon wieder gestresst fotografieren muss. Zwei Geschwisterkinder und Baby. Und die Kunden haben eine lange Anfahrt. Puh! „Bitte, bitte… ich möchte nicht, dass sie umsonst kommen.“
Ich sage nicht ab. Die Familie ist zum Glück total entspannt. Das Shooting verläuft ruhig, ich verspreche eine Entschädigung im Falle des Falles.
Die allgemeine Müdigkeit führt aber dazu, dass ich keine Kraft mehr habe, mir Gedanken zu machen, was wäre, wenn ich alles stehen und liegen lassen müsste. Wenn es so ist, dann ist es so…. Dreieinhalb Wochen fühlen sich an wie eine Ewigkeit. Keine Nacht, in der ich gut geschlafen habe, immer innerlich unter Stress. Ich versuche mich trotzdem zu freuen!
Der erste Abruftermin kommt
Kurz vor Feierabend, die Kunden sind schon weg, klingelt um 15:45 Uhr mein Handy: „Frau Scheller, impfen! Jetzt!“ Ich lasse im Atelier alles fallen, schnappe noch -wie immer in meinem persönlichen „New Normal“ – die Kameratasche und haste los. „Bitte jetzt nicht der zweite Anruf.“
Mir wird Biontech gespritzt. Immer wieder sage ich mir, dass man hier die erste Dosis locker wegsteckt… und ich richtig entschieden habe. Nach der Impfung bin ich ziemlich platt. Auf dem Sofa kann ich abends kaum die Augen aufhalten. Die Anspannung macht sich zusätzlich bemerkbar – wir gehen früh schlafen. Um 23:32 Uhr meldet sich eine fremde Handynummer: „Ich brauche Fotoshooting für meine schwangere Mutter“ … Flugmodus Fehlanzeige. Mein letzter Funken Humor blitzt auf: „Jetzt sofort? – Wo muss ich hin?“ – ich bin ja „allzeit bereit“!
Dreifach Geburts(tags)Wochenende
Am Samstag hat mein Schwiegervater Geburtstag. Wir sind alle eingeladen nach Würzburg zu kommen. Eine Stunde mehr in die falsche Richtung? Schweren Herzens helfe ich meiner Family beim Packen. Alle sind aufgeregt und freuen sich riesig auf den Tag raus aus der Corona-Routine.
Traurig winke ich ihnen nach und wünsche ihnen viel Spaß. Selbstverständlich kann ich nicht mit. Es kann ja jederzeit…
Die Fotos von strahlenden Kindergesichtern mit Oma, Opa und Papa auf dem Spielplatz machen mich glücklich – und zerreißen mir das Herz. Immer wieder sage ich mir, dass es bald geschafft ist. Bald ist es so weit. Das muntert mich etwas auf.
Mit meiner Assistentin fahre ich mit zwei Autos los, um schon für die Frühlings-Sessions einzukaufen. Nicht ganz so entspannt, mein Kontostand sieht übel aus. Die vielen Rufbereitschaften bedingten ‚Shootingfrei-Tage’ machen sich bemerkbar. Nur das Allernötigste darf mit. Meine Schwester und mein Schwager kommen nachmittags und wollen wieder im Garten helfen. Mir ist zwar etwas schwindelig von der Impfe – aber es geht mir gut und ich packe mit an.
Immer wieder hechte ich zum Handy – kontrolliere das Display… merke, wie sich mein Tagesablauf komplett auf die Situation eingestellt hat. Nur Anfragen, ob das Baby schon da ist. Jeden Tag fragen mehr Menschen und fiebern mit. Wahnsinn! Sogar der Arzt hat nachgefragt und ob ich Biontech gut vertragen habe, damit ich fotografieren kann. Durchhalten – ich freue mich riesig!
Als meine Family am 15. abends wieder aus Würzburg heim kommt, spüre ich wieder die Enttäuschung, dass ich nicht hätte verzichten müssen, weil ja noch nichts passiert ist. Dass ich hätte dabei sein können. Aber gut, ich habe zugesagt und stehe dazu! Unser Hund reagiert auch schon sparsamer – die ausgiebigen Spaziergänge fehlen so! Die bekommt er gerade nur vom Herrchen.
Auch ich habe Geburtstag
„Vielleicht haben das Baby und ich sogar fürs ganze Leben etwas gemeinsam!“ Denn Morgen habe ich selbst Geburtstag. Natürlich hoffen alle, dass es nicht am 16. Mai passiert. Wollen, dass ich da bin. Aber witzig wäre es schon. Wenn ich nicht mittlerweile so vollkommen ko wäre!!!
Gut, da muss ich durch! Hoffe nur, dass nicht eingeleitet werden muss. In der Klinik dürfte ich bestimmt nicht dabei sein, bei der geplanten Hausgeburt schon. „Bitte, bitte liebes Baby, mach Dich bald auf den Weg!!!“
Ein mulmiges Gefühl irgendwie. Einen Vertrag habe ich auch nicht geschlossen. Vertraue den Eltern aber. Sie sind supernett!
Abends hätte ich gern mit meiner Schwester rein gefeiert. Geburtstag am Sonntag – ideal um es auch im kleinsten Kreis etwas krachen zu lassen. Ich verzichte auch hier. Will ja bereit und fit sein.
Der Geburtstag fängt total schön an. Meine Schwester kommt zum Brunch. Nachmittags kommen meine beste Freundin und meine Mutter. Wir sitzen alle beisammen im Garten. Ich erzähle von meinen aufregenden Wochen. Dass es unvorstellbar ist, was man auf sich nimmt… Das Handy liegt natürlich wieder neben mir!
Um 16:42 bingt es:
Hallo Welt! Gestern am 15.05.2021 hatte ich es ganz eilig & bin um 20:00 Uhr mit 3660 gr. Und 54 cm auf die Welt gekommen.
Liebe Grüße euer …
// Huhu Liebes, leider ging gestern alles ganz ganz schnell und in nur 27 Minuten kam der kleine Mann zur Welt, die Hebamme hat genau noch eine Wehe mitbekommen. Das hättest Du nie im Leben geschafft und keiner hat damit gerechnet, dass es so schnell geht. Leider habe ich dann auch viel Blut verloren und musste eine Stunde genäht werden,
da haben wir alle nicht daran gedacht dich anzurufen…. Total schade.
Aber mittlerweile geht’s uns gut und wir sind einigermaßen „fit“.
…
(Nachtrag: Nachdem der erste Schock überwunden war, haben die Mama und ich ein wunderbares Telefonat geführt. Sie war auch total traurig, dass wir die ihnen so wichtigen Bilder nicht machen konnten. Zu keiner Sekunde haben sie gezweifelt und mir den komplett ausgemachten Betrag überwiesen. Sie freuen sich auch schon sehr auf ihr Newbornshooting. „Mel, wir lieben Deine Arbeit und schätzen Dich als Mensch sehr!“ Was soll ich sagen… ich bin froh, so tolle Kunden zu haben. Die oft viel mehr als das sind. Wunderbare Herzmenschen – die einfach etwas ganz Besonderes sind!)